Schwarze Pädagogik

Kinder respektvoll erziehen, so verlangt es die Gesetzesänderung BGB § 1631.

Die Kunst des respektvollen Erziehens ist leider wenig bekannt, vielmehr ist die „schwarze Pädagogik” noch weit verbreitet. Das konnte ich kürzlich bei einer Bahnfahrt beobachten. Viele Eltern machen sich wenig Gedanken, welchen entscheidenden Einfluss sie durch ihren Umgang auf die psychische Gesundheit ihrer Kinder haben. Tatsächlich stellt ihr Verhalten die Weichen für die Entwicklung der emotionalen Intelligenz ihrer Kinder. Und die emotionale Intelligenz ist von hoher Bedeutung für das Wohlergehen eines Menschen. Die angeblich so bedeutsame verstandesmäßige Intelligenz, der IQ, macht tatsächlich nur 20-30 % des Berufs- und Lebenserfolges aus! Mangelhaft entwickelte emotionale Intelligenz, die soziale Kompetenz einschließt, macht dagegen selbst einen Hochbegabten zu einem Verlierer im Leben.

Urteilen Sie selbst, welche Folgen respektloser Umgang mit einem Kinde wohl nach sich zieht:

Kürzlich beobachte ich in einem Interregio eine Mutter und ihren etwa 3 ½ jährigen Sohn, die sich auf der anderen Seite des Ganges gegenüber saßen. Der Junge spielte am Fenstertisch mit Figuren. Ein großer Drache griff mit seinem Schnabel, von oben herab, eine Person am Kopf an. Ich hing meinen Gedanken nach, ob die Theorie doch stimme, dass Aggressivität von Natur aus im Menschen veranlagt sei. Zunächst entdeckte ich nichts Auffälliges im Verhalten von Mutter und Kind. Weil der Junge schwitzte, durfte er sich am Getränkewagen eine Wasserflasche besorgen. Nach einer Weile hüpfte er auf den Sessel mir gegenüber. Sofort kommandierte seine Mutter ihn von dort weg. Da er nicht gleich spurte, zerrte sie ihn gewaltsam am Arm. Erst auf meinen Einwand hin, dass ihr Sohn mich nicht störe, ließ sie ihn los. Der Junge turnte jetzt vergnügt auf dem Sessel und klapperte geräuschvoll mit der Armlehne. Trotz der Ermahnungen der Mutter, setzte er das Spiel fort. Auch die Drohung: „Gleich kommt die Schaffnerin!” blieb wirkungslos. Als die Schaffnerin kurze Zeit später tatsächlich erschien, rutschte das Kind sofort ängstlich auf den Sitz. Daraufhin verfiel die Mutter in ein schadenfrohes Gelächter, mich anschauend und Zustimmung heischend. Ich blieb jedoch ernst und sah auf den Jungen. Als per Lautsprecher die nächste Bahnstation angekündigt wurde, forderte die Mutter ihren Sohn auf, seine Schuhe anzuziehen. Der Junge weigerte sich und wandte sich fragend an mich. Ich erklärte ihm, dass es wohl sinnvoll sei, die Schuhe anzuziehen, da sie aussteigen wollten. Jetzt ging er zu seiner Mutter und ließ sich von ihr beim Schuhanziehen bedienen, obwohl seine Schuhe Klettverschlüsse hatten. Eilfertig kam die Mutter seiner Aufforderung nach. In der Zwischenzeit hatte sie bereits, als selbstverständliche Dienstleistung, die Spielsachen in den kleinen Rucksack gepackt und zog dem Jungen sodann die Jacke an.

Was wird aus diesem Kind? Wie gestaltet sich die Beziehung zu seiner Mutter, wenn es heranwächst? Es ist nicht allzu schwer, die Folgen der „schwarzen Pädagogik” zu erraten: Der Junge wird nicht respektvoll erzogen. Durch Angstmachen wird er eingeschüchtert. Drohungen dienen dazu, ihn gefügig zu machen. Bei Widersetzlichkeit wird Gewalt angewendet. Der Tag ist nicht allzu fern, wo der Junge sich an Gleichaltrigen und Fernsehunholden orientiert, einen offenen Kampf mit der Mutter riskiert und tätliche Aggressivität praktiziert. Oder er bleibt der Unterlegene, fühlt sich minderwertig und entwickelt psychische Störungen.

Nicht gelernt hat das Kind Verantwortung für sich und seine Angelegenheiten zu übernehmen, es wird auch in Zukunft andere in seinen Dienst stellen wollen und hohe Erwartungen an andere stellen. Eines Tages wird die Mutter, und später die Partnerin, sich bitter beklagen, wie anspruchsvoll und wie wenig zur Mitarbeit bereit dieser Mensch ist. Unzufriedenheit mit allen negativen Konsequenzen ist vorprogrammiert.

Diese Folgen der missverstandenen „Erziehung” sind schon schlimm genug. Noch katastrophaler erscheint mir die Wirkung auf die Persönlichkeitsentwickelung, die sich bereits in dieser kleinen Szene abzeichnet. Mangelhaftes Selbstbewusstsein als Folge der Degradierungen und mangelhafter Gewissensbildung machen autoritätshörig und prädestinieren zum Mitläufertum, wie schon bei dem Jungen erkennbar. Eine Besinnung auf das 3. Reich und die autoritären Strukturen, die Hitler die Massen in die Arme trieben, können diese Gefahr verdeutlichen.

Leider war die Mutter nicht bereit, sich auf Fragen der Erziehung einzulassen. Wenn sie weiterhin ihre unreflektierten Methoden praktiziert, verschließt sie sich der Freude, die aus respektvollem Umgang mit ihrem Kinde erwächst und nimmt sich selbst die Chance des inneren Wachstums und Reifens gemeinsam mit ihrem Sohne.

Hier stellt sich sofort die politische Frage, wie Eltern und natürlich auch ErzieherInnen und LehrerInnen in die Lage versetzt werden können, Kinder respektvoll zu erziehen. Das ist eine Frage allerersten Ranges, die trotz ihrer immensen Bedeutung ein unverzeihliches Schattendasein führt!